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Angriffe in Syrien: Die Drusen auf den Golanhöhen wollen Israelis werden

Weshalb die Drusen auf den Golanhöhen Israelis werden wollen

Eigentlich geht es den Drusen in den Golanhöhen gut. Doch seit Islamisten ihre Dörfer in Syrien angreifen, leben viele auch hier in Sorge – und wollen Israelis werden.
17.05.2025, 13:0017.05.2025, 13:00
Steffi Hentschke, Amit Elkayam / Zeit Online
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Zeit Online

Ob wir die Geschichte des kleinen Jungen kennen, der Englisch sprach und alles über Flugzeuge wusste, fragt Wassim. «Der Junge wusste alles, obwohl es ihm niemand beigebracht hatte, seine Seele wusste es einfach», erzählt Wassim.

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Drusische Frauen verkaufen Kirschen.Bild: zeit/amit ekalyam

Die Drusen glauben an die Wiedergeburt. Die Seelen Verstorbener wandern von Körper zu Körper, stellen damit eine nicht zu trennende Verbindung her zwischen den Angehörigen der ethnischen Minderheit, die im Nahen Osten lebt − in Syrien, Israel, dem Libanon. Der Glaube an die Wiedergeburt, sagt Wassim, ist einer der wichtigsten Gründe für den festen Zusammenhalt der Gemeinschaft, über Landesgrenzen hinweg. Unter anderem deshalb, heisst es, werden die Drusen von Islamisten als Ungläubige verfolgt. 

Etwa 150'000 Angehörige der Minderheit leben im Norden Israels. Die meisten von ihnen sind in den Bergen von Galiläa zu Hause. Auch Wassim, Anfang 30. Vergangene Woche protestierte er mit Strassenblockaden für mehr Schutz durch Israels Armee. Viele der Drusen in Israel haben Angst, denn derzeit stehen sie mal wieder unter Beschuss. 

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Ein israelischer Soldat in den Golanhöhen an der Grenze zu Syrien.Bild: zeit/amit ekalyam

In Syrien sollen Islamisten kürzlich drusische Dörfer angegriffen und mehrere Menschen getötet haben. Die Faktenlage ist schwer von aussen zu überprüfen. Gesichert ist, dass es mehrere Verletzte gab, die in Krankenhäuser nach Israel gebracht wurden. Israel griff zuletzt wiederholt Syrien aus der Luft an, rechtfertigt den Beschuss damit, die Drusen beschützen zu wollen. Auch hier ist schwer zu überprüfen, was die tatsächlichen Gründe sind. Die Drusen in Syrien sind nicht zu erreichen. Nicht für Journalisten, die aus Israel berichten. Aber auch nicht für die Angehörigen der Minderheit, die diesseits der Grenze leben. Der Kontakt besteht nur digital, über Messengerdienste − und über die innere Verbundenheit. «Ich habe das Gefühl, ihnen helfen zu müssen», sagt Wassim. «Aber ich kann nichts tun, es macht mich verrückt.»

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Eine drusische Flagge. Im Hintergrund liegt Majdal Shams.Bild: zeit/amit ekalyam

Wir sprechen mit Wassim während der Fahrt von Tel Aviv in den Norden. Er hatte um eine Mitfahrgelegenheit gebeten. Wir erreichen die Kreuzung, die zu seinem Dorf führt, nach fast zwei Stunden Fahrt. Der Asphalt auf der Fahrbahn ist noch schwarz vom Russ der brennenden Blockaden. An den Laternen wehen israelische neben drusischen Flaggen. Wassims Dorf liegt ein Stück den Berg hinauf. Die Drusen hier in Galiläa identifizieren sich voll mit Israel, bekleiden teils selbst hohe Posten in der Armee. 

Majdal Shams ist heute eine geteilte Stadt

Wir setzen Wassim ab und fahren weiter, noch einmal zwei Stunden in die Golanhöhen. Die rund 25'000 Drusen dort galten lange als kritisch gegenüber dem israelischen Staat. Die Golanhöhen gehören zu Syrien. Nach dem Sechstagekrieg besetzte und annektierte Israel das gebirgige Gebiet völkerrechtswidrig. Die Stadt Majdal Shams, die ganz oben auf den Bergen wie eine Festung liegt, wurde dabei gespalten. Ein Teil liegt heute in Syrien, einer auf der israelisch besetzten Seite. 

Am Strassenrand steht die Obstverkäuferin Priel Am Alamir. Unterhalb von Majdal liegt der ursprüngliche Reichtum der Stadt: Felder, auf denen Äpfel, Kirschen, Aprikosen und Oliven reifen. Am Alamir verkauft die Ernte an Einheimische und Touristen, aber von denen kämen zurzeit kaum noch welche. «Seit den schrecklichen Angriffen in Syrien bleiben alle weg, keine Ausflüge mehr, keine Grillfeste mehr, alle trauern», sagt sie. Sie selbst schlafe nachts nicht mehr, klagt sie. 

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Drusische Frauen auf einem Markt in Majdal Shams.Bild: zeit/amit ekalyam

Auch in Majdal Shams haben Menschen protestiert. Mehrere Männer versuchten, auf die andere Seite der Grenze zu gelangen, um dort zu kämpfen. Israels Armee stoppte sie, lässt aber Hilfslieferungen zu; Lastwagen beladen mit Matratzen, Lebensmittel und Medizin, organisiert und gestiftet von Drusen. Nach dem Sturz des Assad-Regimes sind israelischen Truppen auf jenem Teil des Golan stationiert, die Israel bisher nicht besetzt hat. Wie israelische Medien diese Woche berichteten, baut die Armee auch an einem mobilen Krankenhaus jenseits der Grenze. «Ich wohne ganz nah an der Grenze und höre nachts, wie die Armee das Krankenhaus baut», sagt Am Alamir. «Ich wünschte, wir könnten mehr tun.» 

Eine Rakete, zwölf tote Kinder

Als die Sonne untergeht, erheben sich die mächtigen Gipfel der Golanhöhen über die Obststauden unserer Unterkunft, darüber der Sternenhimmel.  Auf einem Hügel leuchten die Lichter einer UN-Station. Auch auf einem Hügel daneben brennt Licht: ein neuer Stützpunkt der israelischen Armee, erklären uns Einheimische. Dahinter, auf der anderen Seite der Berge, liegen drusische Dörfer. Sehen kann man sie von dieser Seite des Berges nicht, auch nicht das mobile Krankenhaus. 

Die Unterkunft gehört Samer Abu Saleh. Er betreibt zusammen mit seinen Brüdern auch noch ein Restaurant in der Nähe, seit mehr als zehn Jahren schon. An der Wand am Eingang des Lokals hängt eine Uhr. Dort, wo die Ziffern stehen sollten, kleben Fotos der zwölf Kinder, die in Majdal Schams alle kennen. Im vergangenen Juli traf eine Rakete der pro-iranischen Hisbollah den Fussballplatz im Zentrum des Orts, die Kinder wurden dabei getötet. Der Angriff gilt als Wendepunkt im Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah, der seit dem Anschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 schwelte. Zwei Monate nach dem Raketenangriff auf Majdal Schams tötete Israel den Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. 

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Auf diesem Fußballplatz tötete eine Rakete der Hisbollah im vergangenen Sommer zwölf Kinder.Bild: zeit/amit ekalyam

Am späteren Abend kommt Saieed Abu Saleh mit einem Bekannten ins Restaurant. Er ist ein Schulfreund und entfernter Verwandter unseres Gastgebers. Er und sein Begleiter bestellen Rotwein und Wasserpfeife. «Wir lebten hier fast wie im Paradies, aber der Raketenangriff und nun die Angriffe in Syrien auf die Drusen dort haben für uns alles verändert», sagt Abu Saleh. 

Majdal gilt als verhältnismässig liberal und wohlhabend. Die jungen Frauen tragen Kleidung fast wie in Tel Aviv, Shorts, kurze Oberteile. Die Männer fahren schnelle Autos wie in München oder Berlin, Mercedes, BMW, italienische Sportwagen. Einst hielt die Stadt auch den Weltrekord an niedergelassenen Zahnärzten. Hafiz al-Assad, der Vater von Baschar Al-Assad, erlaubte den Drusen vom israelischen annektierten Teil der Golanhöhen zeitweise, in Damaskus zu studieren, allerdings nur im Bereich Zahnmedizin. «Die Menschen in Majdal glauben an den Wert einer guten Ausbildung. Wir schicken unsere Kinder an Universitäten überall in der Welt und wenn sie zurückkommen, bringen sie ihre Eindrücke mit», sagt Abu Saleh. Er und sein Begleiter erzählen davon, wie auch sie die Welt bereist, sich ein gutes Leben erarbeitet haben. 

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Im Ort erinnern an mehreren Orten Fotos an die getöteten Kinder.Bild: zeit/amit ekalyam

Haben die Menschen in Majdal Schams ein schlechtes Gewissen, weil es ihnen relativ gut geht, während die Drusen in Syrien heute leiden? Saieed Abu Saleh lehnt sich nach vorne, nickt. «Genauso ist es.» Und was soll Israel tun, was soll passieren? «Israel kann nicht viel tun, ausser verhindern, dass es noch schlimmer wird.» Als wir uns Saieed Abu Saleh und seinen Bekannten verabschieden, fragen uns die beiden Männer, ob die Geschichte von dem Jungen kennen, der Englisch sprach und alles über Flugzeuge wusste. 

Vergangene Woche meldeten mehrere arabische Medien, dass Israel und die neue syrische Führung indirekte Verhandlungen über eine diplomatische Lösung beginnen. Israelische Expertenstehen den Angriffen in Syrien skeptisch gegenüber. «Die Drusen sind ein wichtiger Teil in der israelischen Gesellschaft, das macht die Lage so heikel. Viele fordern eine Einmischung Israels in Syrien, aber strategisch ist das gefährlich für Israel», sagt dazu etwa Boaz Shapira im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Er ist Mitarbeiter am Alma Research and Education Center, das sich vor allem mit den Beziehungen zwischen Israel und seinen nördlichen Nachbarn befasst. Laut Shapira könnte Israel damit eine eskalierende Lage provozieren − anstatt den Machtwechsel zu nutzen, um eine stabile und sichere Beziehung mit Syrien anzustreben. 

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Saieed Abu und sein Begleiter vor dem Restaurant.Bild: zeit/amit ekalyam

Früher blieben die Drusen lieber auf Abstand zu Israel

Am nächsten Morgen findet auch Gastgeber Samer Abu Saleh Zeit für ein Gespräch. «Saieed hat bestimmt nicht erzählt, dass er einmal dabei war, als Leute aus Majdal meine Wohnung in Brand gesteckt haben», sagt er, serviert frisch gebrühten Kaffee, lehnt sich zurück und lächelt. «Die Drusen auf dem Golan wollten anders als die in Galiläa lange keine israelische Staatsbürgerschaft. Nun, ich gehöre zu den fünf Prozent, die sie sich als erste holten. Dafür wurde ich früher im Ort verhasst», sagt Samer. «Mein Vater war sogar der erste Druse überhaupt auf dem Golan, der israelisch wurde.» 

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Samer Abu Saleh zwischen seinen Obstbäumen.Bild: zeit/amit ekalyam

Die Drusen gelten als loyal gegenüber dem Staat, in dem sie leben − solange der sie nicht angreift. In den älteren Generationen aber überwog lange die Wut auf Israel: Bei der Besatzung war Majdal nicht nur geteilt worden. Familien wurden entzweit und für immer getrennt. Wer aus Majdal stammte, aber in Syrien arbeitete oder studierte, konnte von einem Tag auf den anderen nicht mehr nach Hause zurück. In der Hoffnung, irgendwann wieder zu Syrien zu gehören, wieder vereint zu werden mit den Verwandten, blieben viele auf Abstand zu Israel. Viele hatten auch Angst, das Assad-Regime könnte Rache üben an denen, deren Angehörige die israelische Staatsbürgerschaft übernähmen.

Wer es dennoch tat, so wie Samer Abu Saleh, galt als Verräter. «Heute könnten sie die Grenzen öffnen, und ich sage euch, niemand aus Majdal würde freiwillig nach Syrien gehen», sagt er. Tatsächlich beantragen heute immer mehr Drusen auf dem Golan die israelische Staatsbürgerschaft, schicken mehr und mehr Kinder in die Armee. «Und Saieed hat sich längst bei mir entschuldigt.» 

Was will er von Israel? «Ich träume davon, dass wir irgendwann wirtschaftliche Beziehungen mit Syrien haben, ähnlich wie mit Ägypten, und auch das Leben der Drusen in Syrien besser wird.» Die Hoffnung auf eine friedliche Lösung würde zur Schönheit des Ortes passen. Im Wind rascheln die Blätter der Kirschbäume, Vögel singen. Auf dem Parkplatz vor dem Restaurant hält ein Bus mit Frauen aus einer Stadt der palästinensischen Minderheit in Israel. Die Frauen machen Fotos von den Bergen, den Bäumen, wirken erholungsfroh. Ein Ort für alle wolle Majdal Schams sein, für Juden, Muslime, Christen, Israelis und Araber, hatte Samer Abu Saleh gesagt.

Vor unserer Rückreise halten wir an einem Teeladen im Ort. Im Schaufenster stehen Schwarzweiss-Fotos aus alten Zeiten − drusische Frauen in traditioneller Kleidung, die in Megafone schreien. «Das ist an unserem Schreihügel, über die Megafone haben die Menschen früher mit ihren Verwandten hinter der Grenze Kontakt gehalten», erzählt Ameer Break, der Ladenbesitzer. Break ist um die 40, verkauft in dem Geschäft Obst und Gemüse, das seine Mutter eingeweckt hat. Ausserdem Lammfett, Olivenöl, und Tee. «Kommt», sagt er, «ich zeige euch den Hügel.» 

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Eine Fotografie von Frauen auf dem sogenannten Schreihügel.Bild: zeit/amit ekalyam

Wir halten direkt am Grenzzaun. Das Tor, das über Jahrzehnte dicht war, steht offen. Die israelischen Soldaten erlauben, dass wir Fotos machen. Ameer Break erzählt ihnen davon, wie seine Verwandten hier früher standen mit dem Megafon. Ein vorbeifahrendes Auto hält, der Fahrer ruft uns zu: «Seht ihr, dort drüben das Auto, das gehört meiner Cousine.» Tatsächlich sind es nur wenige Meter bis zum syrischen Teil von Majdal, einige der Häuser sind noch bewohnt. Trotz der unmittelbaren Nähe sind die Männer, die vergangene Woche versuchten, nach Syrien zu gelangen, die Ausnahme. Auch Ameer Break bleibt auf Abstand.  

Jetzt auf

Die Strasse führt weiter den Berg hoch, bis sie am höchsten Punkt von Majdal Schams endet. Die Luft ist frischer als im Tal, die Landschaft dafür karg. Hier leben Break und seine Familie, seine Eltern und auch sein Cousin Hateem, Anfang 50. «Wir hörten hier, wie die syrischen Islamisten die drusischen Dörfer auf der anderen Seite des Berges angegriffen haben», sagt Hateem. Er erzählt, dass er erst vor drei Jahren die israelische Staatsbürgerschaft beantragt habe. Was wünscht er sich, das passieren soll?

«Israel soll den Grenzzaun verschieben, damit wir wenigstens Majdal wieder vereinen können.»
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Blick über die Golanhöhen. Bild: zeit/amit ekalyam

Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

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46 Kommentare
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Bonjourayn
17.05.2025 14:37registriert Januar 2016
"Die Drusen in Syrien sind nicht zu erreichen." Das finde ich jetzt einen sehr irritierenden Satz. Ich war vor 2 Wochen in Damaskus und habe selbst mit jemandem gesprochen der in einem der Vororte wohnt, wo die gewaltätigten Auseinandersetzungen/Angriffe begonnen haben. Also ich glaube wenn den Autor:innen wirklich daran gelegen hätte die drusischen Stimmen aus Syrien zu hören, hätte es da durchaus Möglichkeiten gegeben....
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